Der neue Fastencode – Was wird propagiert?
In der ARD-Sendung (die wir uns später in der Mediathek angesehen haben) stellte Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ihr Buch „Der neue Fasten-Code: Warum die Darmreinigung das Mikrobiom schwächt und Kaffee die Zellerneuerung unterstützt“ vor. Sie wurde als Professorin und Ernährungswissenschaftlerin angekündigt – also mit akademischem Gewicht.
Die Kernbotschaften:
- Die Darmreinigung mit Glaubersalz oder Bittersalz sei schädlich für das Mikrobiom.
- Auch Darmäder – besser bekannt als Einläufe – seien schädlich
- Kaffee sei beim Fasten nicht nur erlaubt, sondern fördere sogar die Zellerneuerung.
- Die Buchinger-Methode sei alt, und neue wissenschaftliche Erkenntnisse hätten gezeigt, dass es bessere Wege gebe.
Das klingt erst einmal aufregend, fast revolutionär. Endlich Fasten ohne die „unangenehmen“ Seiten – keine Abführmittel, keine Einläufe, keine Kaffee-Entwöhnung, keine strengen Regeln. Doch sobald wir tiefer geschaut haben, kamen erste Zweifel auf. Denn wir hatten längst unsere eigenen Erfahrungen – und die erzählten eine andere Geschichte.
Unsere praktischen Erfahrungen in den Fastenkursen
Schon bevor wir die Hintergründe kannten, hatten wir immer wieder Teilnehmer, die sich strikt weigerten, die Darmreinigung durchzuführen – oft mit dem Verweis auf „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“. Andere berichteten stolz, dass sie morgens ihren Kaffee getrunken hatten, obwohl wir schon während der Entlastungstage ausdrücklich davon abraten.
Was auffiel: Diese Teilnehmer hatten es oft schwerer als die anderen. Sie litten häufiger unter Übelkeit, Dauerhunger, schlechter Laune, Antriebslosigkeit. Kopfschmerzen waren ein Dauerthema – Originalzitat einer Teilnehmerin: „Nach einem Kaffee ging’s wieder.“ Und genau hier liegt der Punkt: Kaffee wirkt eben nicht nur auf die Zellerneuerung, sondern auch auf das Nervensystem – und gerade das macht ihn zu einer suchterzeugenden Substanz, die beim Fasten bewusst losgelassen werden sollte.
Wir haben aus diesen Rückmeldungen gelernt, dass die Erfahrungen für sich sprechen.
Ohne Darmreinigung und mit Kaffeekonsum ist das Fastenerlebnis oft mühsamer, unvollständiger – und vor allem weniger heilsam. Warum das so ist, schauen wir uns jetzt genauer an.
Darmreinigung - ein zentrales Element des Heilfastens
Die Darmreinigung ist beim Heilfasten kein lästiges Ritual – sie ist ein zentraler Startpunkt. Durch das Abführen mit Glauber- oder Bittersalz (oder alternativ durch Einläufe) wird der Darm entleert, die Verdauung beruhigt sich, und der Körper kann sich auf die inneren Prozesse konzentrieren.
Ja, wir geben zu: Glaubersalz ist nicht lecker. Es kann Übelkeit, Erbrechen oder Kreislaufprobleme auslösen. Deshalb empfehlen wir es auch nicht pauschal. Menschen mit sehr hohem oder schwankendem Blutdruck, mit Leaky-Gut-Syndrom oder schlechten Erfahrungen können auf Einläufe ausweichen. Wichtig ist uns, dass die Darmreinigung individuell angepasst, aber nicht einfach weggelassen wird.
Die Autorin des „neuen Fastencodes“ bezieht sich auf eine Studie, die angeblich zeigte, dass die Darmreinigung das Mikrobiom schwächt. Doch Achtung: Diese Studie wurde – so sagte sie es in der ARD – an Patienten durchgeführt, die für eine Darmspiegelung mit Abführmitteln vorbereitet wurden. Das ist kein Vergleich! Dort kamen oft Mischungen verschiedener, teils biochemisch wirkender Mittel zum Einsatz, nicht reines Glaubersalz in individueller Fastendosierung.
Die Studienlage zum Einfluss salinischer Abführmittel auf das Mikrobiom
Wir wollten es genau wissen und haben selbst recherchiert – denn wir wollten das Buch der Autorin nicht kaufen, um diesen Quatsch zu unterstützen. Unsere Recherche hat interessante Ergebnisse geliefert: Zahlreiche Studien (u. a. Harrell et al. 2012¹, O’Brien et al. 2013², Jalanka et al. 2015³) haben untersucht, wie sich Abführmittel auf die Darmflora auswirken. Das Ergebnis: Ja, kurzfristig gibt es Veränderungen – aber in allen Studien stabilisierte sich das Mikrobiom innerhalb von 2 bis 6 Wochen wieder.
Wichtig: Diese Studien wurden meist an Patienten durchgeführt, die für eine Darmspiegelung vorbereitet wurden – mit starken Mischungen aus osmotischen Mitteln, oft kombiniert mit Sennesextrakt oder Natriumpicosulfat, die biochemisch direkt in die Darmflora eingreifen. Das ist ein völlig anderer Ansatz als beim Fasten, wo wir mit individuell abgestimmten Mengen reinen Glaubersalzes arbeiten.
Ich möchte deshalb betonen, dass die Angst, durch eine Fasten-Darmreinigung dauerhaft das Mikrobiom zu schädigen, unbegründet und wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Viele Fastende wünschen sich zudem nicht nur eine Pause vom Essen, sondern ganz konkret eine Entlastung ihres Darmmilieus. Sie wollen den Darm als zentrales Organ entlasten, die Bedingungen für einen gesunden Wiederaufbau nach dem Fasten schaffen und ihre Ernährung bewusst umstellen. Diese Umstellung funktioniert ohne „Altlasten“ viel einfacher.
Kaffee beim Fasten: Eine gute Idee?
Die Autorin des „neuen Fastencodes“ argumentiert, dass Kaffee die Zellerneuerung anregt – und ja, das tut er tatsächlich. Allerdings tut das Fasten ohnehin. Der zusätzliche Effekt von Kaffee verliert sich, wenn der Körper daran gewöhnt ist, und was bleibt, ist vor allem eine Belastung für die Leber. Wir empfehlen deshalb unseren Teilnehmern und Klienten, schon 7–10 Tage vor dem Fasten, auf Kaffee, schwarzen und grünen Tee zu verzichten – und das aus gutem Grund.
Ja, Kaffee enthält zellerneuernde Stoffe – aber übrigens auch Rotwein, der für sein Resveratrol gefeiert wird. Dennoch käme kaum jemand auf die Idee, während des Fastens jeden Abend ein Gläschen Wein zu trinken.
Fasten ist eine Auszeit. Eine Phase des Loslassens – auch von Dingen, die „eigentlich“ gesund sein könnten. Denn das Ziel ist nicht, die Effekte mit cleveren Tricks zu simulieren, sondern dem Körper echte Ruhe zu schenken.
Und hinterher? Da konzentrieren wir uns mit unseren Teilnehmern lieber auf eine gesunde, bewusste, jung haltende Ernährung, die übrigens auch ganz wunderbar ohne Kaffee und Wein funktionieren kann.
Warum „einfacher“ nicht immer besser ist
Auf den ersten Blick wirkt der neue Fastencode wie eine Befreiung: Endlich Fasten ohne die mühsamen, unangenehmen Elemente! Kein bitteres Glaubersalz, kein schmerzhafter Koffeinentzug, keine strikten Regeln. Stattdessen ist es nun modern, angepasst, wissenschaftlich abgesichert – so scheint es zumindest.
Doch genau hier setzen wir kritisch an. Ausgerechnet die beiden Elemente, die Menschen oft vom Heilfasten abhalten – die Darmreinigung und der Verzicht auf suchterzeugende Substanzen wie Koffein – werden plötzlich als überholt, ja sogar kontraproduktiv dargestellt. Ist das Zufall? Oder steckt da vielleicht mehr dahinter?
Wir fragen uns ernsthaft:
Wird hier eine „vereinfachte“ Methode propagiert, die am Ende dazu führt, dass viele Menschen das Fasten gar nicht richtig erfahren – und vielleicht enttäuscht wieder aufgeben?
Denn ein negatives Fastenerlebnis spricht sich herum. Und Fasten ist vielen Konzernen ohnehin ein Dorn im Auge. Es ist eine Heilweise, an der sich – wenn sie richtig und nicht verwässert durchgeführt wird – nichts verdienen lässt, und es führt oft dazu, dass Menschen Medikamente absetzen, weniger konsumieren, bewusster leben.
Vielleicht will Frau Prof. Dr. Axt-Gadermann aber auch einfach nur bekannt werden und ihr Buch verkaufen. Auch das wäre nicht neu.
Warum wir den ursprünglichen Weg verteidigen
Wir verteidigen nicht das Fasten von gestern, weil wir an alten Regeln hängen. Wir verteidigen es, weil es wirkt. Heilfasten nach Buchinger hat fast ein Jahrhundert Erfahrung gesammelt, wurde durch unzählige Beobachtungen, Rückmeldungen und medizinische Begleitungen verfeinert – und ist gerade deshalb so wertvoll.
In unseren Kursen sehen wir es immer wieder: Diejenigen, die sich auf den ursprünglichen Weg einlassen, erfahren nicht nur körperliche Entlastung, sondern auch mentale und emotionale Klärung. Sie lernen loszulassen – nicht nur Nahrung, sondern auch Gewohnheiten, Süchte, Muster. Sie kommen in Kontakt mit sich selbst, erleben Stolz, Durchhaltevermögen, innere Ruhe.
Fasten ist kein Lifestyle, kein kleiner Biohacking-Trick. Es ist eine tiefe, heilsame Erfahrung, die nicht dadurch gewinnt, dass man sie „modernisiert“. Im Gegenteil:
Wenn wir das Fasten entkernen, um es marktfähiger zu machen, verlieren wir genau das, was es ausmacht.
Fazit: Revolution oder Rückschritt? Unsere klare Antwort.
Der „neue Fastencode“ mag modern klingen, wissenschaftlich verpackt sein und bequem erscheinen – doch aus unserer Sicht ist er kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Wenn wir Darmreinigung und Kaffeeverzicht einfach streichen, nehmen wir dem Fasten genau das, was es so wirksam und transformierend macht.
Natürlich darf man Dinge hinterfragen. Natürlich entwickeln sich Methoden weiter. Aber es lohnt sich zu prüfen, ob das, was als „neu“ verkauft wird, tatsächlich besser ist – oder nur markttauglicher. Fasten wirkt, weil es fordert. Weil es uns zwingt, Gewohntes loszulassen. Weil es uns nicht mit dem Gefühl entlässt, dass sich am Ende eigentlich nichts ändern musste.
Wir wünschen uns, dass Menschen das ursprüngliche Fasten kennenlernen dürfen – mit all seinen Herausforderungen, aber auch mit all seinen tiefen Belohnungen. Und wir sind überzeugt: Wer es einmal ehrlich erlebt hat, wird es nie wieder gegen eine bunte „Fasten-light“-Variante eintauschen wollen.

Quellen:
¹ Harrell et al. (2012): https://doi.org/10.1002/ibd.22826
² O’Brien et al. (2013): https://doi.org/10.1038/ismej.2013.93
³ Jalanka et al. (2015): https://doi.org/10.1053/j.gastro.2015.01.040
4 NDR-Magazin „DAS“ vom 5. April 2025
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Fasten im Wandel
Dieser Magazin-Beitrag ist Teil unserer 7-teiligen Beitragsserie über „Fasten im Wandel – Zwischen Heilkraft und Hype“.
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- Einleitung
- Teil 1: Intervallfasten – Heilfasten light oder Etikettenschwindel?
- Teil 2: Scheinfasten – Wenn Kalorien zählen, aber nicht sichtbar sein sollen
- Teil 3: Keto-Fasten und exogene Ketone – Ketose ohne Fasten?
- Teil 4: Der neue Fastencode – Kaffee trinken, Darm nicht reinigen: Revolution oder Rückschritt?
- Teil 5: Smoothie- und Saftfasten – Detox oder Zuckerfalle?
- Teil 6: Autophagie-Hacks – Wenn der Körper sich selbst essen soll (aber bitte bequem)
Teil 7: Heilfasten bleibt radikal – und gerade deshalb wirksam